Interview mit Patryk Witulski
- Wilhelm Heim
- 13. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Seit über zehn Jahren lebt Patryk Witulski (24) in der Nähe von Stuttgart, kommt aber ursprünglich aus Polen. In der Fotografie legt er sich nicht auf eine einzige Richtung fest. Über die Jahre hat er zwar vieles ausprobiert, doch am wohlsten fühlt Patryk sich im breiten Spektrum der Street- und Dokumentarfotografie, denen er seinen eigenen cineastischen Touch verleiht. Dabei versucht er auch, eine ausgewogene Mitte zu finden – so wie in seinem Projekt MĚSTO PRAHA, in dem er alltägliche Momente, Landschaften und Street-Fotografie miteinander verbindet. Fotografien findet ihr auf seinem Instagramaccount oder auf seiner Homepage.
Wilhelm: Hey Patryk, ich freue mich, dich in einem weiteren Schreibgespräch bei Zinegraphie begrüßen zu dürfen. Ich bin auf deine Fotografien durch dein erstes Zine, das ich bei Instagram entdeckte, auf dich aufmerksam geworden. Wir haben uns dann unsere Zines gegenseitig zugeschickt. Du hast Prag im Januar fotografiert, und zwar ganz analog mit einer Yashika FX-D Quartz auf einem Kodak Colorplus 200 und Cinestill 400. Offenbar ist dir das analoge Fotografieren in Prag sehr wichtig gewesen? Warum?
Patryk: Hallo und vielen Dank für deine Einladung! Mein Fokus liegt auf der Verbindung zwischen mir, dem, was ich sehe, und meinem Werkzeug – in diesem Fall meiner Yashica. Sie ist eine japanische, vollmechanische Spiegelreflexkamera aus den 80er-Jahren.
Was mir dabei besonders wichtig ist: Ich habe die volle Kontrolle über den gesamten Prozess. Ich spule den Film selbst vor und belichte ihn bewusst mit den Motiven, die ich sehe. Die Begrenzung auf 36 Bilder pro Rolle war anfangs eine Herausforderung, doch genau das hat meine Achtsamkeit beim Fotografieren geschärft.
Ein weiterer Gedanke, der mich fasziniert: Der Charakter einer Stadt wie Prag, kommt auf Film einfach viel stärker zur Geltung. Und es bleibt immer spannend, ob die Fotos letztendlich so geworden sind, wie ich sie mir vorgestellt habe.
Wilhelm: Welchen Charakter hat Prag denn? Vor allem im Januar?
Patryk: Prag im Januar wirkt ruhig, stimmungsvoll und ein bisschen verschlafen. Der Hradschin (Prager Burg) liegt verschneit über der Stadt, wie ein Wächter. Auf der Karlsbrücke knirscht der Schnee unter den Schritten. In Nové Město geht das Leben langsam wieder los, aber die festliche Stimmung hängt noch in der Luft. Man spürt, dass die Stadt gerade zwischen den Jahren atmet.
Wilhelm: Dass diese Stadt atmet, spüre ich in deinen Fotos. Das ist großartig! Ich muss gestehen, dass ich mich - durch dein Zine ausgelöst - etwas mit der tschechischen Fotografie beschäftigt habe und auf den Fotografen Josef Sudek gestoßen bin. Er hat ja Prag als erster Fotograf in einem sehenswerten Panoramaband portraitiert. Leider kostet das Buch inzwischen knapp über 900€ - da bin ich über dein Zine schon sehr froh! Kennst du Sudeks Aufnahmen? Deine beiden Straßenbahnbelichtungen erinnern mich sehr an Sudeks Aufnahmen?
Patryk: Mit Josef Sudeks Arbeit habe ich mich ehrlich gesagt noch nicht wirklich beschäftigt – da stehen also noch ein paar Hausaufgaben an. Umso schöner, dass ich dir mit meinen Bildern einen kleinen Einblick in Prag aus meiner Sicht geben konnte! Ich kann mir schon denken, dass dein Vergleich mit Sudek daher kommt, dass die Bilder beide so eine breite, fast panoramische Wirkung haben. Fühlt sich auf jeden Fall wie ein riesiges Kompliment an, mit so einem bedeutenden Fotografen in Verbindung gebracht zu werden.
Und wer weiß – vielleicht spricht man ja in ein paar Jahren genauso über unsere Fotos.
Wilhelm: Auf allen deinen Fotos im Zine sind mindestens menschliche Körperfragemente abgebildet. Wie wichtig sind dir Menschen in deiner Streetfotografie?
Patryk: Menschen auf meinen Bildern sind für mich oft einfach ein glücklicher Zufall. Ich war schon immer fasziniert davon, fremden Leuten zuzuschauen – sei es in der Stadt, im Restaurant oder im Bus. Jeder von uns schreibt seine eigene Geschichte im Hier und Jetzt. Wenn ich jemanden auf meinen Bildern festhalte, ist das oft eine unterbewusste Reaktion meines Gehirns. Ich achte beim Fotografieren gar nicht so sehr darauf – erst im Nachhinein entdecke ich meistens, was da eigentlich alles auf dem Bild passiert. Mit der Zeit entwickelt man so eine Art ‚Muskel‘ dafür, ohne ihn bewusst einzusetzen.
Wilhelm: Das empfinde ich als eine treffende Bezeichnung "Muskel". Dazu passt dann auch, dass die Fotografie eine Art Lebenshaltung ist. Ich würde gerne noch etwas völlig anders thematisieren: Autos! Es gibt einige Aufnahmen von Automobilen in deinem Profil. Ein Porsche und ein Mustang haben meine Aufmerksamkeit erregt. Warum Autos?
Patryk: Autos sind meine zweite große Leidenschaft – direkt nach der Fotografie. Für mich sind Autos wie Lebewesen. Die haben ein Herz, also den Motor, der arbeitet, ein- und ausatmet. Und ihre Scheinwerfer wirken wie Augen, die in die Welt blicken. Ich hatte zu jedem Auto, das ich bisher gefahren bin, eine Art von Verbindung. Das ist für mich nicht einfach nur ein Blech, der mich von A nach B bringt. Es sind eher die Erlebnisse, die Erinnerungen… und auch dieses Gefühl: Wenn sonst niemand da ist, steig ich ins Auto, mache meine Lieblingsplaylist an, fahre los - und das tut einfach gut. Fast wie eine Therapie. Beruflich habe ich auch viel mit Autos zu tun, da kommt natürlich die technische Seite dazu. Ich find’s spannend, wie Autos aufgebaut sind, wie sie funktionieren. Ich schraube auch gerne selbst an meinem eigenen Auto rum, baue es um, optimiere es – einfach so, wie’s mir gefällt. Autos sind für mich auch ein Ausdruck von Persönlichkeit. Man zeigt damit so ein bisschen sein verstecktes Ich – ohne dass man viel sagen muss.

Wilhelm: Würdest du dann sagen, dass eine Fotografie von einem Automobil immer auch ein Foto eines Charakters bzw. einer Persönlichkeit darstellt? Und bei welchen Persönlichkeitseigenschaften würdest du den Porsche einordnen?
Patryk: Ja, auf jeden Fall. Ich finde, jedes Auto trägt eine eigene Persönlichkeit in sich – und wenn man es fotografiert, fängt man diese auch ein. Besonders bei älteren Modellen spürt man richtig, wie viel Charakter sie entwickelt haben, durch ihr Design, ihren Zustand oder die Spuren, die die Zeit hinterlassen hat. Bei diesem Porsche zum Beispiel würde ich ihn mit Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Authentizität und einem gewissen Understatement verbinden. Er wirkt kraftvoll und entschlossen, aber nicht auf eine aufdringliche Art. Eher so, als würde er wissen, was er kann – ohne es jedem beweisen zu müssen. Ein echter Klassiker mit Haltung.
Wilhelm: Oje - ich fürchte, du hast mich sehr gut beschrieben. Vor etwa einem Jahr habe ich einen 944er in weinroter Farbe bei meiner "Heimtankstelle" gesehen. Da hat es mir zum ersten Mal ein Porsche angetan und ich war etwas erschrocken über mich. Er wirkte gar nicht protzig, sondern eher wie du den obigen beschrieben hast. Ich würde dich vor diesem Hintergrund gerne noch zu einem anderen Thema befragen: Was fällt dir zum Thema "Männlichkeit in der Fotografie" ein?
Patryk: Manchmal frage ich mich, ob ich in meiner Fotografie noch dem Bild von „Männlichkeit“ entspreche. Wenn ich Intimität fotografiere, wenn ich stille, fragile Momente einfange, bin ich dann weniger Mann? Wenn ich nicht laut bin, nicht dominant, sondern still beobachte, spüre, suche - verliere ich dann Männlichkeit, oder entdecke ich vielleicht gerade eine andere Art davon? Früher galt das als Schwäche – heute sehe ich darin Stärke.
Die Kamera wird für mich oft zum Spiegel. Ich erkenne mich in dem, was ich fotografiere – und auch darin, wie ich es tue. Und das Bild, das dabei entsteht, ist nicht hart und kantig, sondern sensibel, tastend, manchmal auch melancholisch. Nicht der harte Blick macht ein Bild männlich, sondern der ehrliche.
Vielleicht ist es gerade das, was Männlichkeit heute ausmacht: sich selbst zu zeigen, ohne sich zu verstecken.
Wilhelm: Lieber Patryk, das ist ein tolles Plädoyer für eine kraftvolle Offenheit von Männlichkeit - ohne auf etwas Biologisches festgelegt zu sein. Ich danke dir für diesen Gedanken und ich danke dir für dieses großartige Gespräch - was mich wirklich bewegt hat.
Patryk: Danke, dass ich meine Ansichten und Gedanken mit dir teilen durfte. Freut mich, wenn ich dir damit vielleicht ein bisschen Inspiration für deinen eigenen Weg geben konnte.



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